Medienecho
Büttelborn: Café Extra startet Programm mit Fatih Cevikkollu
BÜTTELBORN - Was vormals selbstverständlich war, hat am Freitagabend für Glücksgefühle gesorgt: Nach der langen Pause aufgrund der Pandemie saßen knapp 30 Gäste an den Bistrotischen vor der „kleinsten Kleinkunstbühne Südhessen“ im Café Extra.
Erleichterung über ein Stück zurückgewonnener Kultur war allseits zu spüren bei den geimpften, genesenen oder getesteten Gästen. Kulturamtsleiterin Claudia Weller, Kollegin Jana Schäfer und ihr Team begrüßten zum Kabarett mit Fatih Cevikkollu, den sie als „Anatoliens Hildebrand“ vorstellten. Die Krise hat gezeigt, wie sehr Publikum und Künstler einander bedingen: Die einen lechzen nach Inspiration, die anderen brauchen Resonanz, um zu wirken. Cevikkollu, der sonst vor vollen Sälen und großem TV-Publikum auftrat, sagte: „Ich habe über ein Jahr keine Menschen vor der Bühne gesehen.“ Es sei sein zweiter Auftritt seit der Pandemie, so Cevikkollu. Sein Programm „Fatih Morgana“ war keine leichte Kost, der Ernst hinter gewitzten, sarkastischen Worten ließ sich nicht weglachen. Lustig geht anders, doch das Publikum lauschte gedankenvoll und flocht auch heitere Zurufe ein, blieb guter Dinge. „Ich verstehe Kabarett als Denkraum – einer denkt vor und die anderen denken nach“, eröffnete Cevikkollu seine Ausführungen – ein Kabarettist, der ganz ohne Mätzchen auskommt.
Seine Zeitdiagnose packte aktuelle Probleme bei den Hörnern, führte über die Frage der Verschwörungstheorien angesichts der Pandemie („Wer hat das inszeniert?“) zur fatalen Begründung für Islamfeindlichkeit, thematisierte Polizeigewalt und Rassismus („In Deutschland gibt’s ja nur höfliche und unhöfliche Menschen. Oder?“) hin zur allgemeinen Verunsicherung, die sich einfache Lösungen wünscht. „Wach bleiben, Fragen aufwerfen und selber denken, das ist wichtig“, mahnte der Kabarettist: „Suche ich eine Wohnung und heiße Cevikkollu, ist sie garantiert schon weg. Heiße ich Goebbels, bekomme ich sie.“ Passend dazu wurde Innenminister Seehofer treudeutsch zitiert: „Migration ist die Mutter aller politischen Probleme.“ Auch der CDU-Politiker Friedrich Merz kam mit seiner Worthülse der „freiheitlich deutschen Leitkultur“ aufs Tableau. Cevikkollu: „Verlockend simple Antworten zeitigen Ausgrenzung – es gibt keine einfachen Antworten.“ Die Zeit sei komplex, Denkschemata der Trennung in Nationen, Kulturen und Religionsfantasien überholt. „Heißt die neue Gottesfantasie Google?“
Der Kabarettist skizzierte die rasante Entwicklung der Zeitenwende: „Wir wechseln vom Industriezeitalter zum Informationszeitalter und bewegen uns auf eine Welt zu, in der Mensch und Maschine verschmelzen.“ Neue Fragen stellten sich, in denen es nicht mehr um Besitz, sondern um Datennutzung gehe. Angesichts grüblerischer Stille im Saal setzte er hinzu: „Aber Maschinen lachen nicht.“ Und es wurde befreit gelacht. Mit Empathie, Kreativität und Solidarität könne es gelingen, Zukunft zu gestalten, machte Cevikkollu dann doch noch etwas Mut. Der Auftakt im Café Extra hatte Tiefgang.
Quelle: Echo-Online vom 21.06.2021 – Text: Charlotte Martin – Bild: Volker Dziemballa