Medienecho

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Büttelborn: Spottend gegen das Streaming

Clever, frech und mit untrüglichem Gespür für Entlarvendes und Widersinniges: So amüsierte und inspirierte das Potsdamer Musikkabarett-Duo „Schwarze Grütze“ am Donnerstagabend sein Publikum im Büttelborner Café Extra. Dirk Pursche und Stefan Klucke bewiesen famos, dass ihnen auch nach 25 Jahren auf der Bühne Ideen mit Biss nicht ausgehen.

„Ihr klingt total ausverkauft“, rief Dirk Pursche den applaudierenden Gästen zu. In Wahrheit waren es nicht mehr als 20 Zuschauer, die sich den Nachholtermin mit den namhaften Musikkabarettisten, der im Rahmen der Südhessischen Kabarettnächte stand, nicht entgehen ließen – unter 2G-plus-Regel und mit Maske.

„Wir hätten nie gedacht, dass wir uns mal freuen, vor 20 Leuten auftreten zu dürfen“, setzte Dirk Pursche lachend nach. Mit Spott und Spaß rückte das Duo dem digitalen Alltag zu Leibe. „Wir hätten uns ja auch strömen lassen können, dann wären wir im Stream hier. Aber, nein: wir sind analog.“

Unter dem Titel „Vom Neandertal ins Digital“ ging’s mit einem futuristischen Rückblick auf den Planeten Erde los, wo die Spezies Mensch lang ausgestorben ist. Und so zeitigte der Abstand aufs digitale Zeitalter beißenden Humor. „Anfangs schrieb der Mensch auf Naturmaterial, das er Papier nannte, doch dann speicherte er alles elektronisch und nichts ist erhalten. Eine intelligente Spezies kann das nicht gewesen sein“, befanden die Kabarettisten.

Zu Gitarre und Bass, mit Trommel und Piano besangen sie die Zeit, als der Neandertaler „nur unverpackte, freilaufende Nahrung zu sich nahm und noch kein Streaming kannte außer dem Bach vor der Höhle“. Weder Feng Shui, Reiki noch Literatur des Dalai Lama sei ihm bekannt gewesen, karikierten die beiden unsere rastlose und ratlose Suche nach naturnaher meditativer Entspannung.

Warum aber ist der Neandertaler ausgestorben? Pech? Zufall? Allerdings: „Manche Leute meinen ja, wir seien längst in der Rückentwicklung, blicken sie auf all die jungen Leute mit krummem Rücken, die auf ihr Handy starren.“

Protestcharakter hatte der Song „Nieder mit der Autokorrektur-Diktatur“. Flankierend amüsierte der Dialog des Duos zu komisch fatalen Wortverdrehungen: „Ich habe die Ruhe sehr genossen“, simst der Mann seiner Frau, sie aber erhält die Kurznachricht: „Ich habe die Hure sehr genossen.“

Das Duo stellte fest: „Wir sind vom Neandertal ins Digital mutiert.“ Wenn uns bloß vor den Monitoren das Lachen nicht ausginge. Höhnisch sangen sie: „Ich lass mir das Hirn absaugen, dann seh ich die Welt mit andren Augen. Die Welt wird schön wie nie, nie, nie – das ist die Schönheitschirurgie.“

Lieblich wie ein altes Kinderlied mutete die Melodie an, die Pursche auf dem Xylofon spielte – der Text traf ätzend ins Schwarze: Das Kindchen mag nicht mehr auf die Zahnfee warten, um Geld für das ersehnte Handy einzuheimsen: „Liebe Susi, schlag mir bitte einen Schneidezahn aus, in der Kita holen alle ihr I-Phone heraus.“

Immerhin: Dass aus ihren Kindern je renitente Bankräuber würden, bräuchten Eltern nicht zu befürchten: „Ohne Navi würden sie die Bank gar nicht finden.“ Und sonstige Berufsaussichten? „Die Steuer macht die IT, die OPs der Roboter. Wie wär’s mit Influencer?“

 

Quelle: Groß-Gerauer Echo vom 15.01.2022 – Text: Charlotte Martin – Bild: Marc Schüler